Es ist die eine Sache, in finanziellen Dingen „exotisch“ zu sein und sein Geld für andere Dinge auszugeben als das persönliche Umfeld. Für mich gibt es kaum eine größere Vorfreude als die nächste Wander- oder Reisetour und ich muss jedes Mal, wenn ich mein Depot um eine Position Aktien erweitere, juchzen wie andere, wenn der Postbote mit dem Zalando-Paket in der Türe steht. So hat jeder eben seine Kaufgewohnheiten.
Aber es ist eine andere Sache, wenn ein großer Teil des persönlichen Umfelds völlig andere Grundeinstellungen vertritt.
Nun stelle ich fest, dass das, was ich seit knapp 15 Jahren lebe, einfach ein (annähernd) frugalistischer Lebensstil ist. Sicherlich ist das u.a. das Resultat einer heftigen Schul- und Studienzeit, bei der es am Ende des Monats so manche Woche nur noch Reis mit Salatsoße gab, wenn das selbstbeschaffte Einkommen gerade so für Miete, Studiengebühren und die Fernbeziehung ans andere Ende von Deutschland gereicht hat. (Trotzdem bin ich nicht an Skorbut gestorben. Immerhin!)
Diese Zeiten sind zwar vorbei, aber Statussymbole, beständiger Konsum und teure Dinge bedeuten mir leider noch immer nichts. Über regionales Bio-Gemüse und Reisen lasse ich hingegen gerne mit mir reden.
Wie outet man sich als Frugalist, Investor und Rich Bitch in Spe?
Jetzt kommt das ABER, und hier wird’s komplizierter. Was, wenn der Rest von Freundeskreis und Familienumfeld einfach 0 Verständnis für das alles haben?
- Ich verbringe aktuell gefühlte 70% meiner Freizeit mit Büchern, Podcasts und Blogs zum Thema „Investieren“, „Frugalismus“ und „Achtsamkeit“ und würde am liebsten über nichts Anderes sprechen. Wie nerve ich Menschen, für die das die langweiligsten Themen dieser Erde sind, NICHT mit meinem Übermaß an Begeisterung und Austauschdrang?
- Ein großer Teil meines Umfelds – sei es privat oder beruflich – setzt mit Freuden auf Statussymbole: das neueste iPhone, das dickste iPad, die neugebaute Penthouse-Wohnung, geleaste Autos, teure Möbel, Essengehen als Hobby und dazu noch die eine oder andere Designerklamotte. Ja, mit meinen Rucksackreisen jenseits von prestigeträchtigen Luxushotels, meiner aus einem Stück Treibholz selbstgebauten Küchenlampe (<3) und meinen Investmentfreuden gewinne ich da keinen Blumentopf. Und das ist bisher vielleicht etwas anstrengend, aber nicht schlimm. Aber: Dieser Lebensstil wird mich noch ein Weilchen begleiten. In wieweit lassen sich so zunehmend unterschiedliche Ansichten vereinen? Wie oft kann man das Thema wechseln, weil man der Argumente à la „ich lebe ja nur einmal“ und „das Beste ist mir gerade gut genug“ einfach müde geworden ist?
- In „die 4-Stunden-Woche“ wird u.a. der Zeitpunkt erwähnt, an dem man endlich frei ist und die ersten Zweifel kommen, ob das alles richtig oder vielmehr asozial und bescheuert ist. Ich bin mir sicher: Das mit den Zweifeln schaffe ich schon viel, viel früher. Wie geht man am besten mit offenen Anfeindungen oder Vorwürfen genau dieser Art um?
- Wann ist der Zeitpunkt, sich zu „outen“ – oder ist der Zukunftsplan „Finanzielle Unabhängigkeit“ in einem Land wie Deutschland, in dem man ja nicht über Geld spricht, eine dieser Kategorien, die gerne auf dem Friedhof der unliebsamen Themen begraben bleiben dürfen?
- Wie erhalte ich mir meinen Optimismus im Umgang mit Menschen bei, obwohl es bei den Themen Finanzen und Frugalismus selbst von den liebsten Freunden plötzlich verbal aufs Maul gibt? Ich weiß, dass sehr viele Privatinvestoren und Minimalisten sich nicht im persönlichen Umfeld komplett frei austauschen (können), sondern dafür die virtuellen Communities nutzen (müssen). Aber: Ist das wirklich der einzig wahre Weg?
Meine Lösungsansätze für den frugalen Investoren-Alltag
Was kann man tun, um in einem konsum- und statussymbol-konzentrierten Umfeld zu bestehen?
- Netzwerk aufbauen zu Menschen, die sich gerne mit Finanzen, Frugalismus und finanzieller Freiheit auseinandersetzen (z. B. Immobilien Investment Meetup München, Interessengruppen auf Facebook und Austausch mit Bloggern) – da fühlt man sich gleich viel weniger alleine!
- Mein leider wenig zufriedenstellender Lösungsansatz, wenn ich mal wieder im Aufzug in einer peinlichen Unterhaltung „feststecke“:
„Ja, so kann man das auch sehen. Ist aber nicht mein Weg. Wollen wir das Thema wechseln? Ich hätte Lust auf Pfannkuchen/einen Spaziergang.“
About Changes (Aktualisierung 05.05.2021)
Seit ich diesen Artikel erstmals publiziert habe, ist viel passiert.
Einerseits hat sich der Freundes- und Bekanntenkreis deutlich verändert. Das Learning: Wenn so unterschiedliche Lebenseinstellungen aufeinanderprallen und nicht auf beiden Seiten genug Empathie und persönliche Wertschätzung vorhanden ist, kann es einfach unschön werden. Und niemand sollte sich Freunden gegenüber für die eigene Art zu leben rechtfertigen oder gar gegen Seitenhiebe verteidigen müssen.
Viel wichtiger ist allerdings, dass sich das Exotentum eines Investors und Frugalisten durch das steigende Interesse innerhalb der Gesellschaft langsam aber beständig zu verändern scheint. Ressourcenschonung ist en vogue und zufällig gehört „Sachen aufbrauchen“, „Achtsam mit Produkten umgehen“ und „nicht ständig kaufen“ irgendwie dazu. Auch Dinge zu reparieren statt sie einfach zu ersetzen wird normaler.
Gleichzeitig scheint aber auch das Thema „Finanzen“ – schon aus Gründen der Altersvorsorge – in meiner Altergruppe verstärkt anzukommen. Neu ist jedenfalls, dass etwas offener darüber gesprochen wird, was man mit seinem Geld macht. Ob man an der Börse investiert, wie man seinen Kredit für das Eigenheim optimiert. Man schämt sich nicht mehr für seine Investitionen und schweigt, sondern tauscht sich aus. Ein Zaubertraum!
Aber auch der Faktor „Lebenszeit“ tritt für immer mehr Menschen in den Vordergrund und sie fragen sich, ob Geld und Konsum so wichtig ist. Reicht nicht vielleicht auch eine Teilzeitstelle? Momentan ist das Thema Burnout in meinem Umfeld allgegenwärtig und ich bin sehr stolz auf jeden einzelnen, der sich für seine mentale Gesundheit statt für Geld und Statussymbole entscheidet.
Grundsätzlich habe ich das Gefühl, dass auch die Macht der Gewohnheit im direkten Umfeld sehr prägend ist. Was am Anfang noch argwöhnisch beäugt wurde („Waaas? Du hast monatelang keine Dinge gekauft? Du investierst in mehr als in einen Bausparer? O.o“), ist durch regelmäßiges Berichten etwas weniger nervenaufreibend und etwas normaler geworden. Zwar wird am Frühstückstisch noch viel dazu geschwiegen, wenn mein Freund und ich uns über Aktien und Kaufalternativen unterhalten. Aber nach ersten zögerlichen Rückfragen werden die Fragen interessierter, offener, potenzialwahrnehmender. Und das freut mich über alle Maßen.
Die Erkenntnis der letzten Jahre: Als Frugalist bin ich nicht gezwungen, mich im Penthouse für meinen „armseligen Lebensstil“ zu rechtfertigen. Ich kann auch einfach aussteigen, die Treppe nehmen und auf der nächsten Wiese mit denen picknicken, die einen Sonnenstrahl in Freiheit und mich als Person zu schätzen wissen.
Kennst Du diese Herausforderungen? Wie gehst Du damit um? Ich freue mich über Deine Gedanken!
komisch- mir geht es eher umgekehrt…. mag aber auch an meinem höheren Alter (51) liegen. Das Thema investieren und FI habe ich erst seit relativ kurzer Zeit auf dem Schirm, bin aber schon ziemlich weit und werde in absehbarer Zeit das Ziel erreicht haben. Würde aber eigentlich gern noch ein bisschen länger arbeiten, da ich meinen Job sehr gern mache… allerdings vielleicht in etwas anderer Form als bisher.
Dass ich einen recht frugalen Lebensstil habe, ist mir auch erst vor kurzem aufgefallen. Irgendwie hatte ich mir die Einstellungen aus dem Studium bewahrt. Und Dinge zu reparieren statt sie wegzuwerfen haben mir meine Eltern (noch Kriegsgeneration) so beigebracht.
Inzwischen bin ich leidenschaftlicher Investor und würde mich liebend gern mit anderen darüber austauschen, merke aber bei Kollegen, Freunden und Bekannten leider recht schnell, dass keine noch so geringen basics vorhanden sind. Ich habe es ehrlich gesagt aufgegeben und mach mein Ding- jeder ist eben doch seines eigenen Glückes Schmied. Dabei wäre es einfach, sich bei Dir, Gerd Kommer, dem Finanzwesir oder noch einfacher im amerikanischen blog- Raum die nötigen Grundlagen anzulesen. Hätte es diese Möglichkeit in meinen 30ern gegeben, wäre ich wahrscheinlich inzwischen mehrfacher Millionär.
Danke jedenfalls für Deinen wirklich gelungenen blog!
Lieber Medicus, mir ist noch nicht ganz klar, inwiefern es Dir umgekehrt geht? Jedenfalls freue ich mich sehr, dass Du – egal in welchem Alter – auf eine Zielsetzung und dessen realistischer Umsetzung gestoßen bist. Und wie schön es ist, für seinen sonst vielleicht eher belächelten Stil à la „ewiger Student“ einen Namen und Gleichgesinnte zu finden zu finden, kenne ich aus eigener Erfahrung. Wie erschreckend gering die Basics im Umfeld teilweise sind, sieht man vermutlich auch erst, wenn man – wie Du – etwas tiefer in die Materie eingestiegen ist. Aber hier gebe ich Dir ebenfalls völlig recht und fahre die Strategie: „Jeder ist seines EIGENEN Glückes Schmied“ und nötige auch niemanden zu irgendwelchen Gesprächen zu diesem Thema. Und sobald mir eine/r mit „Bausparvertrag zur Altersvorsorge“ o.ä. kommt, ändere ich direkt die Richtung des Gesprächs …
Dass Du mich in einer Reihe mit Gerd Kommer und dem Finanzwesir nennst, hat mir den Start in diesen nebeligen Morgen extrem versüßt! Danke dafür 🙂
Freut mich enorm, dass Du aktiv mitliest und Deine eigenen Erfahrungen beiträgst. Genau dafür ist dieser Blog da.
Stay tuned!
Sventja